
Eine in Kalifornien ansässige Firma hat eine Software entwickelt, die auch Mikroexpressionen in Gesichtern registriert. Ist das das Ende des Bluffs? Öffnen sich hier Möglichkeiten für Betrüger?
Die so genannten Reading Skills gehören zu den Fähigkeiten, die von Pokerspielern als besonders wichtig und wertvoll eingeschätzt werden.
Weltklassespieler wie z. B. Phil Hellmuth scheinen in der Lage zu sein, ihre Verluste zu begrenzen und Gewinne zu maximieren, weil sie besser darin sind, die Stärke des Gegners anhand dessen Gesichtsausdrucks oder gar ihrer Körperhaltung zu interpretieren.
Phil Hellmuth hat sich auch selbst mehrfach zu der enormen Bedeutung von Reading Skills geäußert. Außerdem können Sie hier sehen, dass Hellmuth tatsächlich zu bemerkenswerten Reads in der Lage ist.
Hellmuth: „Wer ein großer Pokerspieler sein will, sollte gefälligst verstehen, was im Kopf des Spielers auf der anderen Seite des Tisches vor sich geht.“
Emotient
Wenn man also die Möglichkeit hätte, diese Fähigkeiten zu automatisieren und von einem Computer ausführen zu lassen, könnte man quasi unschlagbar werden.
Sechs ehemaligen Studenten der Universität von San Diego könnte eventuell genau das gelungen sein.
Ihr Unternehmen Emotient, das 2015 in die Liste der 50 besten Start-up-Unternehmen aufgenommen wurde, vertreibt eine Software, die vor allem dazu verwendet wird, die Reaktionen von Konsumenten auf TV-Werbespots zu registrieren.
Die Software produziert 30 Bilder pro Sekunde, sodass ihr nicht einmal kleinste Reaktionen entgehen. Die Entwickler behaupten, die Software sei so gut, dass man sie unmöglich überlisten kann.
Dazu CEO Ken Denman: „Das Gehirn bewirkt Reaktionen der Gesichtsmuskeln auf zwei verschiedene Arten. Entweder verändert man seinen Gesichtsausdruck absichtlich … oder es handelt sich um eine willkürliche Reaktion … ausgelöst durch Emotionen. Wer versucht, ein Pokerface zu zeigen, zeigt oft Mikroausdrücke.“
Diese Veränderungen der Gesichtsmuskulatur könnten so klein sein, dass die meisten Menschen sie nicht bemerken, aber Emotient würde sie dennoch registrieren, etwas so wie Tim Roth in der Serie Lie to me.
Laut Angaben der Firma arbeitet die Software mit 95% Erfolgsquote, und das unabhängig von Alter, Geschlecht und kultureller Herkunft der Probanden.
Tatsächlich sind kulturelle Unterschiede hier zu vernachlässigen, denn grundlegende Emotionen lösen offenbar von der westlichen Industrienation bis hin zu abgeschlossen lebenden Naturvölkern bei allen Menschen dieselben Gesichtsausdrücke aus.
Die Software wurde bereits mehrfach erfolgreich getestet. Zum Beispiel kam sie auch bei der ersten Fernsehdebatte der republikanischen Präsidentschaftskandidaten zum Einsatz.
Nie zuvor war eine solche Software vor diesem Hintergrund eingesetzt worden. Einen Überblick über die Ergebnisse finden Sie auf dieser Webseite (wenig überraschend ist wohl, dass Donald Trump vornehmlich die Grundemotion „Ärger“ zeigte).
Die Effizienz der Software wird inzwischen allgemein anerkannt. Zum Beispiel schreibt Charlene Weisler auf mediavillage.com:
Emotient ist in der Lage, mehrere hundert Gesichtsausdrücke unauffällig gleichzeitig aufzunehmen und große Datenmengen zu Individuen beider Geschlechter und aller Altersgruppen zu sammeln. Emotient verfolgt in Echtzeit die Reaktionen der Teilnehmer an Konferenzen, Sportereignissen, Konzerten und Geschäftstreffen.
Also kann man das Programm natürlich auch bei Pokerturnieren einsetzen.
Gesichtserkennungs-Software bei Pokerturnieren
Man muss sich einmal vor Augen halten, was für einen riesigen Vorteil man hätte, wenn man genau wüsste, wie sich der Gegner fühlt.
Natürlich würde man die seine Karten nicht exakt kennen, aber das wäre auch gar nicht notwendig.
Emotient unterscheidet zwischen den sieben Grundemotionen Freude, Ekel, Zorn, Traurigkeit, Verachtung, Überraschung und Angst.
Wüsste man um die jeweilige, vorherrschende Emotion beim Gegner, hätte man einen deutlichen Hinweis auf dessen Handstärke und wie sich diese auf jeder Straße entwickelt.
Eine solche Technologie wäre ganz einfach bei Fernsehevents wie EPTs eingesetzt, wo die Hole Cards nicht gezeigt werden, aber die Action in Echtzeit.
Ein Komplize könnte zuhause vor dem Fernseher sitzen, die Software benutzen und dann einem der Spieler am Tisch per Knopf im Ohr mitteilen, wie sich dessen Gegner gerade fühlt.
Stellt man sich nun noch vor, man könnte ein Gerät einsetzen, dass den verbotenen Google-Brillen ähnelt, dann bräuchte man nicht einmal den Komplizen.
Oder denken Sie an Online-Poker mit Webcams. Hier sind die Möglichkeiten noch vielfältiger, denn man könnte ununterbrochen die Gefühlslage jedes einzelnen Mitspielers am Tisch verfolgen!
Vielleicht sagen Sie jetzt, dass Sie niemals eine solch perfide Betrugsmasche anwenden würden, und das ehrt Sie, aber wir wissen doch alle, dass es immer Menschen gibt, die keinerlei moralische Skrupel haben.
Tja, war’s das dann? Auf Wiedersehen Poker? Diese Software hat dir den Rest gegeben? Moment mal, nicht so schnell.
Die Grenzen der Computersoftware
Sagen wir mal, Emotient ist wirklich so gut, wie die Experten sagen. Dennoch ist sie nur so gut wie die Daten, mit denen man sie füttert.
Laut Angaben des Supports von Emotient versagt die Software wenn Gesichter ganz oder teilweise verdeckt werden, genauer gesagt von
Händen großen, breitkrempigen Hüten Vollbärten dicken Brillengläsern Sonnenbrillen
Wissen Sie noch, wie Chris Ferguson auftrat, bevor er zur dunklen Seite wechselte? Mit seinem Vollbart, der Sonnenbrille, dem schwarzen Hut und vor dem Gesicht gefalteten Händen wäre er für Emotient genauso unlesbar gewesen wir für Sie oder mich.
Und falls Sie die Berichterstattung zum WSOP Main Event verfolgen, ist Ihnen vielleicht aufgefallen, wie viele Spieler ihre Gesichter mit Hoodies oder sonstigen Kleidungsstücken verbergen.
Zwar kann man Mikro-Gesichtsausdrücke nicht kontrollieren, da sie nicht willentlich gesteuert werden können, aber man kann sein Gesicht komplett verbergen.
Pokerturniere könnten wieder mit einer kurzen Zeitverzögerung gezeigt werden, elektronische Geräte werden verboten, und was Online-Poker angeht, die Webcam hat ja schließlich einen Aus-Knopf.
Deshalb stellt Gesichtserkennungs-Software im Moment keine Bedrohung für Poker dar. Emotient-CEO Ken Denman sagte PokerListings dazu:
„Poker ist kein Geschäftsfeld für uns. Man kann die Technologie in vielen verschiedenen Geschäftsfeldern anwenden, aber derzeit nicht im Bereich Poker.“
Das Potenzial der Gesichtserkennung
Sogar der Experte auf dem Gebiet erklärt also, das Software zur Gesichtserkennung für Poker keine Rolle spielt. Aber achten Sie genau auf die Wortwahl und den Begriff „derzeit“.
Schon längst stellt Google eine Software zur Verfügung, die in Echtzeit Bilder von Text in tatsächliche Textformate umwandeln kann.
Die „optische Buchstabenerkennung“ (engl.: OCR) kann seit Jahren selbst mit dem Mobiltelephon benutzt werden.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Schritt zur Gesichtserkennung gemacht wird, aber bis jetzt brauchen Sie sich keine Sorgen darum machen, dass ihr Gesichtsausdruck elektronisch analysiert wird.
Aber an dem Tag, an dem jemand sein Handy am Pokertisch auf Sie richtet, sollten Sie misstrauisch werden.
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